Eskapadify WRAPPED
Was dieses Jahr gut war, nächstes Jahr besser sein muss und deshalb anders wird
Liebe Eskapistinnen, liebe Eskapisten,
meine Einladung zu „Menschen, Bilder, Sensationen“ muss irgendwo auf dem Postweg verlorengegangen sein. Da wollte Steffen Hallaschka eigentlich mit mir rückblicken auf das erste Jahr dieses Newsletters. Aber gut, dann mache ich das schnell selbst. Wem schnell nicht schnell genug geht, darf zu „Unterm Strich“ vorscrollen. Da steht auch, was nächstes Jahr anders wird.
Fünf Dinge hat mich der Newsletter gelehrt:
#1 – Planung ist sexy
Muss man ja auch mal sagen! Die Eskapade ist wirklich jeden Sonntag, gegen acht Uhr morgens in den Postfächern ihrer Leser*innen gelandet. Wie jede von uns, so habe auch ich Uni-Hausarbeiten regelmäßig in zwei Nachtschichten kurz vor Abgabe geschrieben. Die Eskapade, die auf den ersten Blick nicht ganz so relevant sein mag wie eine akademische Ausbildung, habe ich stattdessen planvoll über eine jede Woche verteilt geschrieben.
Ein bisschen bahnbrechend ist das schon. Denn bisher ist so ziemlich jedes kreative Kann-Projekt von mir daran gescheitert, dass am Ende der Zwang die Ideen plattgedrückt hat. Mit ein wenig vorausschauender Einteilung war die Eskapade zwar Mühe, aber kein Stress. Planung, Routinen, Konstanz – niemand wird jemals jemanden zum Schmachten bringen mit diesen drei Wörtern. Mich schon.
#2 – Jeden Tag ist Ideen-Spartag
Leider bin ich nicht William Faulkner. Dessen Muse arbeitete offenbar nach Stechuhr: „I only write, when I’m inspired. Fortunately, I’m inspired at nine o’clock every morning.“ Jede Wissensarbeiterin und jeder Autor kennt den Horror des weißen Blattes. Wenn man sich hinsetzt zum Schreiben, der Kopf sagt: So! Und dann kommt erst mal nix.
So verschwenderisch wie mit meiner Zeit, so achtlos bin ich stets mit meinen Ideen umgegangen. Die Eskapade hat auch geklappt, weil ich mich neuerdings auf ein System verlassen kann, mit dem ich jederzeit Rückgriff habe auf gehabte Gedanken – meine eigenen und die von anderen. Meine eigene Zettelkasten-Methode, eine Kombination aus App, Messenger und händischem Gekrakel, habe ich dieses Jahr entdeckt, an der Eskapade habe ich sie ausprobiert und inzwischen wende ich sie auch auf alles andere an, das nicht im großen „Wie hieß noch mal ...?“-Schlund verschwinden darf.1
Der Trick besteht darin, die Notizen nicht in Ordner oder in eine Chronologie zu quetschen, sondern sie rauszulassen, wann sie passieren, und später über Schlagworte wiederzufinden. So kostet Notizenmachen fast keine Zeit und fühlt sich natürlich an, denn unser Gehirn funktioniert ganz ähnlich. Ich könnte stundenlang darüber sprechen, wie diese Methode (ab hier mit QVC-Stimme lesen:) mein Lee-ben ver-än-daat hat, Nancy! Aber weil das Thema noch weniger sexy ist als Planung, Routinen und Konstanz, wird’s jetzt lieber ein bissi anarcho.
#3 – Ohne Konzept schnell voran
Als Ex-Journalist bin ich Opfer einer großen Gehirnwaschung. Mir wurde beigebracht, Texte und Inhalte zuerst in Formaten zu denken. Eine Meldung ist kein Kommentar ist kein Interview ist keine Reportage ist auf gar keinen Fall ein Feature! Dieser Formatstalinismus hatte beim „Trierischen Volksfreund“ von 1984 vielleicht seine Berechtigung, aber nicht für einen Newsletter von heute.
Der Medienmensch in mir hatte schon lange verstanden, dass ein Blog oder Newsletter von der Person lebt. Aber mit der Eskapade habe ich es zum ersten Mal tatsächlich getan: ohne fertiges Konzept loszuschreiben. Für einen Struktur-Rationalisten wie mich war das eine ganz schöne Überwindung. Oder muss es Rational-Strukturist heißen? Sehen Sie! Genau das meine ich.
Eine der Weisheiten, die Schreiber*innen gerne einander mit auf den Weg geben, heißt: „Write like no one’s reading.“ Als Aufdruck auf einer Kaffeetasse eigentlich ganz hübsch. Ich halte mich lieber an Skat-Sprüche: Aus jedem Dorf ein Köter! Alles, das mich interessiert, beschäftigt und ausmacht, habe ich in der Eskapade verhackstückt. So wurde der Newsletter auch ein bisschen Tagebuch, was mein ständig vorhandenes Gedankenknäuel enttüdeln half.
Noch ein Nebeneffekt: Dank fehlendem Formate-Korsett gab’s jeden Sonntag genug zum drüber schreiben. Hätte ich mich entschlossen, Deutschlands ersten Newsletter über, sagen wir mal, Flipflops und andere Zehentrenner-Schuhe zu veröffentlichen, der Stoff wäre mir nach zwei Ausgaben wohl ausgegangen.
#4 - Geld verdienen ist Arbeit
Auch wenn tatsächlich sechs Menschen zahlende Eskapade-Abonnierende sind (ich nenne sie: Götter!), muss ich hier mit einem Mythos aufräumen. Nein, ich habe mir dieses Jahr keine Sauna einbauen lassen. Das dreiteilige Kai Shun-Messerset für 500 Euro ist immer noch im Warenkorb. Und die Taufe der 19-Meter-Yacht „L’Escapade“ musste vorerst verschoben werden.
Will man von Leser*innen nicht nur fünf Minuten ihrer sonntäglichen Zeit, muss man mehr zu bieten haben. Es ist ein großes Missverständnis, dass nur Nutzwert und Listen mit Emoji vor jedem Absatz das sein können. Menschen unterstützen auch Recherche, Fakten, eine Mission oder einfach das gute Gefühl, Teil einer Gemeinschaft zu sein (oder ein Only Fans-Projekt. Aber dafür habe ich nicht die richtigen Füße). Was es auch sei, der Deal ist immer derselbe: Geld gegen irgendwas, das jemandem Geld wert ist.
Mein Schreiben ist per se keine Offerte, die viele Menschen mit Fuffies um sich schmeißen lässt. Das ist keine Koketterie, sondern Realismus. Ich hätte auch nichts dagegen, Max Goldt zu sein und an einem Donnerstagabend im Münchner Volkstheater unvollendete Dramolette von mir aus den Achtzigern vorzutragen. Aber ich bin nicht Max Goldt. Das sagt schon der Name.
Vielleicht könnte ich sogar Geld verdienen mit dem Schreiben. Aber der Weg dahin wäre harte Arbeit und der Ausgang ungewiss. Die Leichtigkeit wäre erst mal dahin. Die Themen kämen aus dem Kopf und nicht mehr aus dem Bauch. Meine Nonsens-Überschriften wären fortan tabu, und das Allerschlimmste: Ich müsste Marke werden. Ich müsste Zeit in Dinge stecken, die eigentlich ins Schreiben gehört. Ich müsste mich ins Gespräch bringen, ständig auf Bluesky oder LinkedIn rumhängen und so tun, als würde mich das Flexen da interessieren.
#5 – Zahlen machen Aua
„Write like no one’s reading“ hat noch so einen Haken. Dass jeder genau das gerne hätte. Dass nämlich jemand mit-readet. Irgendwann stellt sich die Frage, was denn Erfolg ist, wenn es Para und Prada nicht sind.
Daumen oder Herzen sind es auch nicht. Das Wohltuende an den neuen Plattformen ist ja gerade, dass sie aus der Koks-Logik der herkömmlichen Social-Plattformen aussteigen. Sechs Millionen Follower, drei Millionen Views – diese Zombie-Werte sagen in Wahrheit gar nichts. Aber sie verführen Menschen seit ein paar Jahrzehnten zu einem Denken, das nicht guttut. Und am Ende ruft Friedrich Merz bei Dieter Bohlen an.
Die Top 3-Eskapaden des Jahres
Witzige Geschichte, mein Hirn weiß das alles, weigert sich aber standhaft danach zu handeln. Wenn ich kurz mal nicht aufpasse, dann schleicht es sich raus, macht das Dashboard auf und schnabuliert Öffnungsraten und Abozahlen, bis es Bauchschmerzen kriegt.
Produktiv ist der Blick in die Zahlen nie. Welche Zahlen eigentlich? Da fängt’s ja schon an! Die Texte, die die Leser*innen scheinbar am liebsten gelesen haben, waren eher nicht meine Lieblingsausgaben (mein Liebling war ein echter Rohrkrepierer). Heißt das, ich schreibe fortan nur noch übers Backen? Und was heißen Herzchen eigentlich? Vielleicht hat die Katze in dem Moment den Bonsai vom Fensterbrett geschubst, als der Katzenpapa sich über meine Anekdote beömmelte. Später hat er halt vergessen, das Herzchen nachzureichen.
Was ich mit der Eskapade zum ersten Mal wieder und neu erlebt habe, ist der direkte Kontakt mit Leserinnen und Lesern – und wie demütig der macht und wie dankbar. Immer, wenn mir jemand zwei oder drei persönliche Sätze geschrieben hat, war das, als bekäme ich einen Ring mit elbischer Runen-Inschrift überreicht. Nach zwei Berufsjahrzehnten im Internet hatte ich ganz vergessen, dass es das noch gibt. Danke!
Unterm Strich
Ich mag die Eskapade. Zum ersten Mal stresst mich ein kreatives Projekt nicht, und dass der Newsletter ein Jahr lang wirklich jede Woche erschien, macht mich ein bisschen stolz. Das Schreiben hilft mir denken und macht Grübeln überflüssiger. Und der Newsletter ist ein guter Anlass, neue Methoden und Werkzeuge kennenzulernen, die ich auch im Rest vom Leben gebrauchen kann. Die Eskapade geht weiter.
Das Restdruck muss aber weg. Bei aller Freiheit pochen Zahlen und Geld in meinem Hinterkopf. Die Zahlen zu ignorieren, ist eine Frage der inneren Einstellung. Das mit dem Geld ist ein Frage der Substack-Einstellungen. Ich habe die Paid-Option abgestellt. Ab sofort gibt es keine Bezahl-Abos mehr zu kaufen und auch keine Paid-exklusiven Inhalte.2
Der Gelddruck musste weg, weil ich Geld verdienen muss. Meine berufliche Situation hat sich geändert. Die Stunde um fünf, in der ich bisher über Quatsch an der Wursttheke geschrieben habe, brauche ich jetzt für weniger Wurstiges, mit dem ich vielleicht irgendwann die Miete zahlen kann. Deshalb muss die Eskapade reines Vergnügen sein und darf nicht Dienstleistungen einfordern – schon gar nicht zu Recht.
Ich mache eine Pause. Denn ich muss ein neues Unfertig-Konzept finden, das mich wieder vom Fleck schiebt. Ich hab Bock, aber der muss erst gefüttert werden. Ende Januar 2025 geht es wieder los.
Bis irgendeinen Sonntag!
Für meine Nerd-Freunde: Ich benutze Capacities in Kombination mit WhatsApp und einem Notizbuch. Jeden Abend wird die Inbox kurz verschlagwortet und der Tag resümiert. Feddich.
Alle Götter habe ich angeschrieben. Ich erstatte anteilig den Preis für ein Jahres-Abo, wenn sie das wünschen. Alle mit einem Monats-Abo sollten das bei nächster Gelegenheit kündigen.
Das: "Sechs Millionen Follower, drei Millionen Views – diese Zombie-Werte sagen in Wahrheit gar nichts. Aber sie verführen Menschen seit ein paar Jahrzehnten zu einem Denken, das nicht guttut. Und am Ende ruft Friedrich Merz bei Dieter Bohlen an."
Bei so vielen deiner Sätze habe ich gerade gedacht: Ja man!
I feel you - hab eine schöne Zeit.