NACKT mit Buchstaben
Ist das Kunst oder einfach nur Machen? Lange habe ich mich geweigert, das eigene Tun kreativ zu nennen
„Das ist der Herr Laux, der Künstler.“ So werde ich dem Herrn im Rentenalter vorgestellt. Er ist der Erste, der an diesem Freitagabend in das kleine Ladenlokal gekommen ist, um sich die Fotos an den Wänden anzugucken. Die Fotos an den Wänden habe ich gemacht.
Der Laden wird später voll werden. Zwei oder drei Dutzend Menschen, ich habe nicht gezählt, werden Wein trinken, sich unterhalten oder rauchen auf dem Bürgersteig vor der Tür. Es ist ein warmer Frühlingsabend in Berlin.
Wie der Heiratsschwindler
Ich werde noch in so manch rumstehendes Grüppchen als „Künstler“ eingeführt werden. Irgendwann werde ich auch begreifen, dass das Wort heute Abend mich meint. Aber richtig klingt es trotzdem nicht.
Vor zwei Wochen beschlich mich zum ersten Mal das Gefühl, Menschen an der Nase herumzuführen. Da ging die Einladung zu der Vernissage raus. Auf der Einladung stand: „Mit Arbeiten von Andreas Laux.“ Das klang nicht einmal übertrieben, und doch kam ich mir vor wie der Heiratsschwindler auf einer Moselkreuzfahrt. Gestatten, Konsul Laux!
Die Frage, was Kunst ist, und was einfach nur Tun, beschäftigt mich seit jeher. Ich finde sie wichtiger als andere wichtige Fragen, weil sie die eigene Person ganz grundsätzlich betrifft. Die Antworten sagen, wie wir uns selbst sehen, das, was wir leisten, und was für einen Wert das hat für andere.
Obwohl ich schon mein ganzen Berufsleben lang in der so genannten Kreativbranche arbeite, bin ich das Gegenteil des wilden Künstlertyps. Wenn irgendwo die radikalste Idee gebraucht wird, die sich ein menschliches Hirn ausdenken kann, dann ruft man nicht mich an. Wäre ich Theaterregisseur in den Sechzigern gewesen, auf meiner Bühne hätte kein Schauspieler nackt Kunstblut verspritzt.
Kreativ ist machbar
Ein Chef sagte mal zu mir, ich sei nicht der Kreativste. Er meinte das nicht böse und ich widersprach nicht. Denn ich wusste, worauf er hinauswollte. Meine Kreativität trägt einen starken Anteil Machbarkeit in sich. Kreativität – vor allem die beim Broterwerb – besteht für mich mehrheitlich darin, Probleme zu beseitigen und Umstände so zu gestalten, dass Kreativität passieren kann. Das fällt natürlich weniger auf als ein Nackter mit Kunstblut.
Einer der besten Momente für mich an der Journalistenschule war, als Bascha Mika, die damalige Chefredakteurin der taz, vor unserer Klasse saß. Sie sagte dabei diesen einen Satz: „Es kann nicht nur Edelfedern geben.“ Ohne die Managerinnen, ohne die CvDs, die den Laden am Laufen hielten, gäb's nämlich nichts, wo der Edelfederstoff abgeladen werden könnte. Ich war oft CvD in der Journalistenschule.
Durch den Journalismus habe ich Schreiben zuerst als Handwerk kennengelernt. Deshalb werde ich wohl immer mein Schreiben mehr als Dokumentieren denn als Kreieren sehen. Erst recht nicht als Kunst. Dennoch bleibt Schreiben für mich das beste Mittel, um mein Verhältnis zur Kreativität ausloten.
Kreativ ist das Abweichen vom Bisherigen. Viele Nachtschichten in vielen Nachrichtenredaktionen haben mir die Regeln des Schreibens eingebläut. Deshalb fühle ich mich beim schreibenden Regelbrechen am wohlsten.
Handfeste Ergebnisse
Beim Schreiben stellt sich das Gefühl von Wirksamkeit so herrlich schnell ein. Ich schreibe diesen Satz so. Und diesen so. Und diesen – verrückt! – ganz anders. Ich hatte mal ernsthaft erwogen, Besenbinden zu lernen. Als Ausgleich zum abstrakten Bürojob wollte ich mir damit ganz handfeste Ergebnisse schenken. Ich glaube aber nicht, dass ich in einer Woche so viele Besen binden könnte, wie dieser Text Sätze hat.
Die Souveränität beim Schreiben führt dazu, das ich mich in Texten weit öffne. Mancher Mensch, der mich lange kennt, ist erstaunt, was er in Texten von mir liest anstatt es vorher von mir erzählt bekommen zu haben. Anstatt nackt mit Kunstblut mache ich mich nackt mit Buchstaben.
Die Ausstellungseröffnung geht zu Ende. Die Gläser, in denen die Käsecrackerstangen waren, sind von den Stehtischen geräumt. Ich nehme eine Visitenkarte entgegen.
Ein Schritt nach vorne
Einer, der damals dabei war, als ich die Bilder gemacht habe, sagt zu mir: „Richtig gut eingefangen. So war das.“ Der Satz bedeutet mir viel, weil's den Grund berührt, warum ich mich neuerdings an Fotos versuche. Fotografie hat den unbedingten Bezug zur Wirklichkeit. Der Moment war immer tatsächlich, wenn der Auslöser gedrückt wurde. Wenn die Fotos an den Wänden das sagen, dann ist’s gut.
Auf dem Weg nach draußen schaue ich noch mal auf eines der Bilder und im Kopf fange ich an, an den Farben rumzukritteln. Da fällt mir gottlob eine Antwort wieder ein, die ich wichtiger finde als andere Antworten: Kreativität ist Fortschritt. Früher habe ich dem Geniestreich nachgejagt und war jedes mal enttäuscht, wenn sich die Perfektion nicht einstellen wollte. Heute freue ich mich schon über jedes besser Sein als gestern.
Käsecrackerstangen und „Arbeiten von“ waren heute der Schritt nach vorne.
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Jedem, der wie ich gerne grübelt über die eigene Kunst oder den Begriff davon, dem empfehle ich Melanie Raabe, vielleicht sogar Rick Rubin, aber auf jeden Fall alles von Austin Kleon.
Danke für diesen Text! Ich habe ihn sehr gern gelesen :) das Bild 'nackt mit Buchstaben' finde ich sehr stark und es trifft das Öffnen beim Schreiben sehr gut, das oftmals stattfindet, zumindest, wenn man über eigene Gedanken und Erfahrungen schreibt. Ich kenne das was du beschreibst sehr gut und mir geht es mit dem Begriff 'Autorin' manchmal so. Gar nicht mal so sehr vor anderen wie bei dir (so erfolgreich bin ich nicht haha), aber vor mir selbst - obwohl ich in meiner Jugend einen Roman geschrieben und selbst veröffentlicht habe und seit Jahren einen Blog geführt habe, und jetzt einen Newsletter hier, fällt es mir schwer, mich selbst als Autorin zu sehen. Vlt schlägt da das Imposter-Syndrom zu? :)
Vlt sind das Bezeichnungen, von denen wir glauben, sie nicht einnehmen zu dürfen, weil man sie nicht durch einen Abschluss/ ein Zeugnis/ eine Ausbildung erhält?
Danke fürs Teilen!
Viele Grüße
Charly
Oh hello. Ich war nicht an der Journalistenschule (in der letzten Runde an der Henri Nannen rausgeflogen), bin aber auch eher Typ CvD. Keine 'Edelfeder', sondern vor allem ein guter Redakteur. Für 'Edelfedern', und für mich selbst. Ich habe damit meinen Frieden gefunden, bin sogar ein kleines bisschen stolz darauf.
Deine Bilder aus dem letzten Newsletter fand ich stark. Die Frage, ob das Kunst ist oder nicht, stellt sich (für mich) da keineswegs. Ich kann deine Gedanken aber komplett nachvollziehen, habe mein eigenes Treiben auch nie als Kunst begriffen; nicht mal, als mein erstes Buch – natürlich ein Sachbuch – erschien.
Lese die Eskapade jede Woche sehr gern, Andreas!