Liebe Eskapistinnen, liebe Eskapisten,
ich habe mir ein neues Podcast-Format ausgedacht. Das Konzept ist so einfach wie genial. Es richtet sich an gleich zwei Zielgruppen, die echte Reichweiten-Turbolader sind: Start-up-Bros und Landlust-Gals. Ich nenne ihn: “Founder und Flora”. Mehr hab ich noch nicht.
Bis nächsten Sonntag.
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#1 – Im Newsletter von vergangener Woche ging es ums Fasten. Ich hatte berichtet, dass ich in den Nuller- und Zehnerjahren beinahe durchgehend gerochen habe wie eine Kneipe in den Achtzigerjahren. Kein Text in der jungen Geschichte dieses Newsletters hat so viele Reaktionen hervorgerufen. Als ich mich zurückerkundigte, warum das so sei, schrieb Leser T. nur: “relatable”. Das ist Englisch und heißt: “Zwei Drittel der Übervierzigjährigen finden Katerhaben kacke.” Leserin K. erklärte es so: “Berlin-Bashing geht immer.” Was interessant ist. Der Text mokiert sich zwar über die Unoriginalität von Wochenend-Druffies, erwähnt aber mit keinem Wort Berlin. Denk da mal drüber nach, Hauptstadt!
#2 – Es ist schon was dran, ich hacke gerne rum auf Berlin. Vor allem auf seinem Pseudo-Nonkonformismus. Dabei denken alle dasselbe, tragen alle dasselbe und essen alle dasselbe Sauerteigbrot für 14 Euro 90 den Laib. Hiermit offiziell “Entschuldigung” und wiedergutgemacht: Nur hier und nirgendwo anders wollte ich mein neues Pflanzprojekt starten. Denn wie sagt schon der Volksmund? “Wenn Dir das Leben eine vollgepinkelte Matratze auf den Bürgersteig legt, pflanz einen Zitronenhain drumrum.”
#3 – Ich war auf der erst dritten Lesung in meinem Leben. Das Format sagt mir irgendwie nicht zu. Es ergibt keinen Sinn in meinen Augen. Wenn mich der Inhalt eines Buches interessiert, ist der effektivste Weg ihn kennenzulernen, nun ja, es zu lesen. Die Darbietung selbst reißt ja selten vom Stuhl. In der Regel liest die Autorin oder der Autor selbst, anstatt Helene Fischer oder Atze Schröder das machen zu lassen. Henryk M. Broder, den meine Kiez-Buchhandlung irgendwie geschafft hatte aus Charlottenburg raus und nach Friedenau rein zu locken, wollte ich aber tatsächlich lesen sehen.
In meinen frühen Tagen als Journalistwerder hatte ich Broder ein paar Mal in eine Talksendung eingeladen und deshalb eine Menge von ihm gelesen. Ich saß manches Mal in der öffentlich-rechtlichen Redaktion und lachte Tränen. Broders knatternde Rotzlöffeligkeit, mit der er alles und jeden mit Steinchen bewarf, fand ich großartig.
Einmal stellte er den Schriftwechsel mit einem Vertriebsmitarbeiter, der ihm etwas andrehen wollte, ins Internet. Den manischen Verkäufernonsens parierte Broder mit noch größerem Unsinn. Das Hin und Her gipfelt schließlich in der Aufforderung zum Duell im Morgengrauen. “Wählen Sie Ihre Waffen! Ich werde 12-Unzen-Boxhandschuhe tragen.” Wahrscheinlich habe ich nur die Hälfte dieser Episode korrekt wiedergegeben. Aber sehr genau weiß ich noch: So dreist wollte ich auch werden. So Florettfechten mit Wörtern wollte ich auch können.
Seitdem sind viele Jahre vergangen. Ich hatte Broder aus den Augen verloren. Inzwischen riecht die politische Kultur strenger. Eine starke Meinung zu haben, ist nicht mehr so einfach, wenn man nicht gleichzeitig einer alles regelnden Weltanschauung beitritt. Wer online das Anekdötchen erzählt, wie er seine Tochter erfolglos zum Zähneputzen animiert hat, kann sich nur zwei Retweets später im Lager der Kinderrechte-Gegner wiederfinden und ihm wird womöglich die Forderung nach einer Heraufsetzung des Wahlalters auf 50 angedichtet.
Ich war deshalb ein bisschen nervös. Nicht für wahrscheinlich, aber dennoch nicht ganz ausgeschlossen hatte ich gehalten, dass Broder in den vergangenen 20 Jahren eine Wagenburg um sich herum gebildet hatte aus “Das wird man ja noch sagen dürfen”-Ultras mit vereinzelten Ausreißern in die Brandenburger Prepperszene. Ich wurde herb enttäuscht. Das einzig radikale war, wie sehr ich mit immerhin 46 Jahren den Altersdurchschnitt eines Publikums drücken kann. Der Rest war noch normaler als die Sichtung von Camp David-Klamotten auf Norderney.
Ich habe noch mal ein paar Tränchen gelacht. Von ein paar der Thesen, die Broder und sein Mitautor Reinhard Mohr steil in den Raum passten, dachte ich das exakte Gegenteil. Aber es fühlte sich gut an, wie wir es trotzdem zusammen ausgehalten haben.
#4 – Aus unserer Reihe “Wörter, die man viel zu selten benutzt”, lesen Sie heute:
#5 – Der drohende Abfall von Dachgesims hat mich zum Nachdenken gebracht. Nach meiner Überzeugung kann Abfall entweder die Lossagung von einem Kult oder eben der Rest von etwas sein, der nutzlos ist. Zum Beispiel die Teile des Dachsgesims, die einem Abbruch zum Opfer, auf den Boden herab und damit vom Glauben an ein intaktes Haus abgefallen sind. Ja, schon gut. Ich grüble wieder zu viel. Deshalb fang ich von “Sonnabend in acht Tagen” gar nicht erst an!
#6 – Wussten Sie, dass die Redewendung “Sonnabend in acht Tagen” so unsinnig ist, dass sie sogar den freien Verkehr von Waren und Dienstleistungen am Wirtschaftsstandort Deutschland gefährdet? Um der totalen Anarchie nur ansatzweise Herr zu werden, musste im Handelsgesetzbuch eigens eine Norm eingefügt werden: “Ist eine Frist von acht Tagen vereinbart, so sind hierunter im Zweifel volle acht Tage zu verstehen.” Und Wum und Wendelin reimt sich plötzlich auf Sodom und Gomorrha.
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Das hast du dir doch ausgedacht! - Nee, hab ich nicht. In Paragraf 395, Absatz zwei des Handelsgesetzbuchs steht der Satz oben genauso drin. Hätte der Wum vom Wendelin auch mal besser gelesen +++ Hier geht’s zum garantiert Berlin-freien und überdurchschnittlich relatablen Fasten-Newsletter +++ Meine Kiez-Buchhandlung ist die Nicolaische Buchhandlung.
Henrik M. Broder war in den 1990ern gefühlt in jeder Talkshow. Das waren die Zeiten, als polarisierende Aussagen noch als Beitrag zur Meinungsbildung oder zumindest unterhaltsam galten. In meiner Erinnerung ist aber vor allem eine Aussage Broders geblieben. Mit einem Nebensatz machte er meine geliebte Heimatstadt Köln nieder, indem er sagte, er habe den Fehler begangen, mehrere Jahre hier zu wohnen.
Ich finde dich saulustig!😆