Ich trinke keinen Alkohol mehr. Erst mal für 40 Tage.
Am Mittwoch war Aschermittwoch und damit der Start in die Fastenzeit. Die nutze ich traditionell für Verzichtexperimente.
Die christliche Fastenzeit und das christliche Weihnachten haben sich in immer weniger christlicher Zeit wohl deshalb erhalten, weil ihre weltlichen Umsetzungen sich an die Gegenpole des Zeitgeists so herrlich anschmiegen. Turbokonsum und Ultraverzicht gehen gleichsam ab auf Insta.
Social Media habe ich schon ein paar Mal weggelassen zur Fastenzeit. Zigarettenverzicht hat eigentlich nie geklappt. Letztes Jahr habe ich mir dann selbst ein bisschen Angst gemacht, so einen Aufwand habe ich betrieben.
Um sieben Wochen lang ein Smartphone-loses Leben zu führen, hatte ich mir eigens ein dumb phone gekauft. Das ist ein Mobiltelefon mit dem man telefoniert, SMS verschickt und sonst nichts.
Es geht noch ohne
Halten wir fest, meine emotionale Investitionsbereitschaft ist beträchtlich, wenn es ums Fasten geht.
Das hat nichts mit christlicher Überzeugung zu tun, obwohl ich katholischer Konvertit bin (“Das sind die Schlimmsten!”). Ein Lifestyle-Happening ist mir das Fasten auch nicht. Ich finde nämlich nichts schick daran, meiner beschränkten Social-Media-Öffentlichkeit zu berichten, wie edel und rein ich ohne Pfeffi-Fahne bin.
Weil es gottlob auch nicht meine Leberwerte waren, die mir auf die Schulter getippt haben – Freundchen, jetzt mal halblang! –, läuft's am Ende darauf hinaus: Ich will mir beweisen, es geht noch ohne.
Eigentlich will ich das immer. Aber in den Wochen vor Ostern will ich das noch ein bisschen mehr.
Ich habe keine harte Drogenkarriere hinter mir. Aber ich habe fundierte Kenntnisse übers sozial akzeptierte Wegballern.
Den Gegenwert von zwei Doppelhaushälften im Münchner Umland habe ich leider nicht in ETFs, sondern in Zigaretten investiert. In meinen Zwanzigern und Dreißigern war nur so eine Woche eine normale Woche, in der ich ein- oder besser zweimal besoffen war.
Schlickig wie eine Kneipenspüle wurde es, wenn die Kippen und der Suff mit ihrem Cousin abhingen, der kaputten Arbeitskultur.
Bis nachts im Büro sitzen, wenn die anderen schon gegangen waren, Ketterauchen und neben der Tastatur das dritte Helle. Das war eine lange Weile meine bevorzugte Art runterzukommen.
Kippen, Bier und Arschlöcher
Wenn ich heute daran denke, schüttle ich den Kopf wie eine Augsburger Puppenkisten-Marionette. Nicht wegen des Geldes, das weg ist. Nicht wegen der Lebensjahre, die mutmaßlich draufgegangen sind. Sondern wegen der Hingabe an drei Dinge, die es einem niemals danken werden: Zigaretten, Bier und Arschlöcher in Führungspositionen.
Verzicht ist für mich keine Absage an den Genuss, sondern der Mittelfinger ans konventionelle Einlullen.
Wie oft in meinem Leben, wenn mein Hirn an einer Unbequemlichkeit ankam – eine Idee wurde gebraucht oder ein bisschen Konzentration –, habe ich dem Hirn dann den Arm um die Schulter gelegt: “Komm, erstmal eine rauchen. Hier, nimm mal noch ein Bier”?
Die Unbequemlichkeit musste anschließend immer noch erledigt werden. Die Zeit war allerdings knapper und der Stress noch größer. So habe ich ein Geflecht aus Ritualen um mich gebastelt fürs bequemer Sein und einfacher Werden, aber nix wurde bequemer oder einfacher.
Natürlich war ich highly functional, mein Sozialleben geriet nicht aus den Fugen. Aber wenn die Zigarettenpause mal ausfallen musste oder das Bierchen zum Runterkommen, drückte leichte Panik auf den Brustkorb. Man muss nicht erst ein Fall für die Betty-Ford-Klinik sein, um schon Abhängigkeit zu spüren.
Ich finde vieles irritierend an der Selbstverständlichkeit, mit der die Mittelklasse inzwischen Drogen wegsnackt. Am liebsten sind mir die guten Menschen, die an fünf Tagen in der Woche den Turbokapitalismus verteufeln und am Wochenende ihr Geld einem Menschenfresserkapitalismus namens Drogenhandel in den Rachen werfen. Nur damit sie das Set ihres Lieblings-DJs nicht verpennen.
Und doch hat diese Scheinheiligkeit nichts damit zu tun, warum das nicht mein Leben sein soll. Ich sehe es so: Meine Unabhängigkeit ist mir in allen Bereichen des Lebens heilig, also doch erst recht bei meinem Fühlen und Denken.
Nüchternsein macht das Leben natürlich nicht einfacher, aber wahrer. “Ich habe bessere und interessantere Probleme”, schreibt Mia Gatow, die seit Jahren ohne Alkohol lebt.
Lust und lustig
Zugegeben, Verzicht hat ein Publicity-Problem. Er klingt nach dem Gegenteil von Lust und lustig. Für mich geht beides aber inzwischen viel besser mit dem Weglassen zwischendurch. Wenn alles kann und immer darf, geht schnell der Zauber flöten.
Ich bin kein Asket. Der Verzicht kann für mich kein Immerzustand sein. Das Belohnungszentrum muss zuweilen bekommen, was es verdient. Das Schöne ist aber, die Reizschwelle ist gesunken.
Mein tagtägliches Leben ist so strukturiert. Ständig schreibe ich Pläne, Listen und Kalendereinträge. Ich stehe auf um fünf. Wenn ich mich mal so richtig feiern will, mache ich blau, liege den ganzen Tag auf dem Sofa, glotze Filme mit Vin Diesel, bestelle Burger ... und fühl mich König der Löwen.
Ich weiß schon, die Aussicht mit mir auf dem Sofa Burger zu mampfen, bietet keinem Möchtegern-Bohemien eine Alternative zu Koksen vom Toilettendeckel. Aber ich will ohnehin niemanden missionieren.
Ich bin glücklich, meinen eigenen Begriff von Genuss gefunden zu haben. Das reicht. Was andere behaupten, wie Spaß auszusehen hat und was dafür eingeflößt gehört, ist inzwischen egal.
So unabhängig habe ich mich noch nie gefühlt.
***
Der Satz von Mia Gatow stammt aus dem Tagesspiegel. Ihren Podcast “SodaKlub” kann man zum Beispiel hier hören.