In der LAMMFORM meines Lebens
An der Zwangspause stört uns der Zwang. Aber die Pause übersehen wir – eine Woche geteilt durch vier
Liebe Eskapistinnen, liebe Eskapisten,
heute ist Ostern! Nach christlicher Lesart ist gestern Nacht das Leiden zu Ende gegangen und mit dem Sonnenaufgang wurde alles neu. Profaner, aber nicht weniger erbaulich ist die Erkenntnis, dass der Frühling da ist und mit ihm all das Geblühe und Geknospe.
Ich habe jedes Jahr das Gefühl, gäbe es das Innehalten an Ostern nicht, ich hätte vermutlich verpasst, wie Leben und Natur sich zurückmelden. Ich wäre einfach durchgerauscht, bis mich im Herbst die Laubbläser aus meiner To-do-Trance reißen.
Wie krampfhaft ich dem Winter zu entstrampeln versuchte. Januar, Februar und März sollten mich ein Stück des Weges begleiten. Stattdessen haben sie mich dauerlaufend rechts und links überholt und waren einen Augenblick später schon hinter der nächsten Hausecke verschwunden.
Nicht nur wegen der Verschnaufpause ist Ostern mir das liebste Fest. Es beschert außerdem mindestens so viele freie Tage wie Weihnachten. Der Druck durch Kauf und Krisen ist aber nicht so groß.
Herzlichen Glückwunsch! Sie haben die ersten drei Monate des Jahres gemeistert. Zur Belohnung verleihe ich Ihnen Blankozeit auf dem Sofa. Und die will ich auch nicht zurückhaben.
Bis nächsten Sonntag!
***
#1 – Eine Minute warte ich. Warum weiß ich das? Weil ich auf die Uhr geguckt habe. Niemand guckt auf die Uhr beim Bäcker. Wenn die Brötchen schon ausgesucht sind und nur noch zusammengezählt werden muss.
Ich komme zweimal die Woche hierhin. Weil das die effizienteste Bäckerei ist, die ich kenne. Die Chefin hätte mir längst den Preis gesagt, das Wechselgeld abgezählt und mich mit einem „Ich wünsche Dir einen wunderschönen Tag, mein Lieber“ vor die Tür gesetzt. Damit's weitergehen kann.
Ich sehe das ein. Es ist Karfreitag. Die festen Mitarbeiterinnen brauchen auch mal frei. Deshalb schiebt die Aushilfe Dienst. Sie sehe ich heute zum zweiten Mal. Beim ersten Mal war die Hälfte meines Einkaufs falsch. Habe ich natürlich erst zu Hause gemerkt.
Da liegen meine Brötchen, auf der Arbeitsplatte. Müsste halt mal jemand einpacken. Aber sie tippt auf dem Kassen-Tablet rum. Nee, stimmt gar nicht. Der Zeigefinger schwebt nur über dem Bildschirm. Ihr Mund formt stumme Worte. Rechnet die jetzt etwa?! Wenn sie rechnet, was macht dann die Kasse?
Ich habe gerade echt kontrolliert, ob sie an meine Käsestange gedacht hat. Was für ein kleinkarierter Freak tut so was? Wirklich alles läuft hier gerade aus dem Ruder.
Jetzt sind es schon zwei Minuten. Das sind sechs Hundejahre, wenn man nichts tun kann außer rumstehen. In der einen Hand mein offenstehendes Portemonnaie und in der anderen das Wird-auf-jeden-Fall-reichen-Scheinchen.
Die Chefin ist gerade rein. Gottlob war die nur hinten was holen. Sie kümmert sich erstmal um die Frau hinter mir in der Schlange.
Aber jetzt mal im Ernst, mein Einkauf kann doch auch nicht mehr lange dauern. Die Aushilfe sieht hinab auf meine Brötchen. Sie runzelt die Stirn.
„Zwei sechzig, meine Liebe“, flötet die Chefin die andere Kundin an. Echt jetzt? Die haben uns tatsächlich überholt!
Immerhin packt die Chefin jetzt bei mir mit an. Meine Brötchen landen in Tüten. Bisschen peinlich für die Aushilfe. Aber egal jetzt.
Die Aushilfe protestiert in einer Sprache, die ich nicht verstehe. Die Chefin guckt sie ein bisschen zu ausdruckslos an, knüllt meine Brötchentüten zu und dreht sich um zu mir: „Elf Euro siebzig.“
Oh, mein, Gott. So sehr wurde ein Mensch noch nie eingestampft vor Publikum. Zumindest nicht, wenn ich das Publikum war.
Die Aushilfe muss dem Brötchenkauf beim abgewickelt Werden zugucken. Ich fühl mich schlecht wegen meiner miesen Gedanken von eben. „Ich wünsche Dir einen wunderschönen Tag, mein Lieber“, sagt die Chefin.
Damit kann’s weitergehen.
#2 – Ich wollte „Die Passion“ auf RTL gucken. So wie ich schon mal auf Twitch zwei Stunden lang einem Mann in Slowenien beim Schlafen zugeguckt habe. Weil es gruselig war, aber eben auch faszinierend.
Es ging nicht. Ich kam nicht hinaus über zwei Behind the scenes-Berichte mit Frauke Ludowig. Als Reiner Calmund, frisch zurückgekehrt aus dem Thailand-Urlaub, in der provisorischen „Die Passion“-Kantine über Omelette und Mango zum Frühstück frohlockt, wird mir klar, das hier wird nicht faszinierend, sondern nur gruselig.
Ich freue mich über jeden Tipp, was ich stattdessen gucken soll.
#3 – Ich werde mein Nichtstun im Laufe des Tages an die Ostsee verlagern. Vielleicht knipse ich mal wieder ein paar Bilder. Meine Fotografie verträgt neue Impulse. Offensichtlich.
#4 – Bevor ich mich aufmache, hier noch ein Geständnis. Ich habe gelogen. Nein, anders. Ich habe literarisch verdichtet.
In der vorangegangenen Ausgabe dieses Newsletters habe ich behauptet, von den vielen Krimi-Hörspielen, die ich so zu mir nehme, nie auch nur ein einziges zu Ende gehört zu haben. Das Hörspiel sei nämlich für mich hochwirksames Schlafmittel. Das ist im Grunde alles richtig.
Aber von manchen Hörkrimis kenne ich tatsächlich das Ende. Dann will mein Kopf mehr weiterhören als der Rest von mir einschlafen muss. Ich mochte die folgenden Hörspiele alle sehr. Vielleicht mögen Sie sie auch.
Matildas letzter Sommer: Eine gescheiterte Selbstmörderin trifft auf einen vermeintlichen Muttermörder. Lakonisch, herzlich.
Der Home-Officer: Ein suspendierter Polizist fernsteuert seinen unbedarften Kollegen durch einen Fall. Schräg, witzig.
Tumult im Finanzamt: Eine verzweifelte Hebamme erbittet Steuer-Aufschub, als Chaos losbricht. Aktuell, überraschend.
Ich bin auch ein großer Fan dieses langen Wochenendes, bei dem alle mal entschleunigen dürfen. Es kommt auch wirklich zur richtigen Zeit.
Sowas von nicht zur Unzeit :)