Die LAUNE klumpt
Wer zu viele Nachrichten liest, verliert die Orientierung. Zum Glück gibt's ein Mittel dagegen
Wer erinnert sich noch?
Als Putin gerade die Ukraine überfallen hatte, da machte das Wort von der Dauerkrise die Runde. Putin war nicht der Erste, der innerhalb eines überschaubaren Zeitraums für Schreckensnachrichten gesorgt hatte. Er hatte mitgetan am Dauergefühl, dass alles nur noch schlechter wird. Und das eigentlich Bedrückende: dass da nichts ist, das man dagegen tun könnte.
Das Gefühl habe ich wieder. In den vergangenen Wochen und Tagen habe ich viele Nachrichten gehört, gesehen und gelesen. Das war keine gute Idee.
Ich hatte meinen Nachrichtenkonsum schon einmal gedrosselt. Da fand ich mich selbst ein bisschen prätentiös. Denn Nachrichten vermeiden, um sich besser zu fühlen, ist ja schick geworden. Der rechtmäßige Nachfolger von: „Ich schaue Serien ja nur im Original“. Ladida!
Nirgends ein Säbelzahntiger
Für mich war's zuerst nur eine dieser Challenges, die ich gerne mache, um Sachen gewuppt zu kriegen. Jetzt wo ich ins alte Nachrichtenmuster zurückgerutscht bin, merke ich erst, wie tatsächlich gut mir die Nachrichtenflaute getan hat.
Ich muss hier nicht wiederkäuen, was viel schlauere Menschen schon aufgeschrieben haben, dass nämlich die Nachricht das Negative fest eingebaut hat und deshalb jede Nachricht per se eine schlechte ist. Kein Höhlenmenschkind kam jemals in die Höhle gelaufen und rief: „Da ist kein Säbelzahntiger!“
Für den negativen Impuls, der der Nachricht vorausgeht, kann also niemand etwas. Wie wir diesen Impuls aber lenken, da gibt es mehr als eine denkbare Herangehensweisen. In der gegenwärtigen Nachrichtenlage wird erst mal die Dramatik fest angezogen.
Apokalyptisches Pendeln
Ein alltägliches Beispiel: Als ich in dieser Woche die „Abendschau“ im Dritten vom RBB gucke, geht es um die Bahnstreiks. Die „Abendschau“ ist ein Lokalnachrichten-Format. Das muss man erwähnen, das lässt das Folgende noch ein bisschen abstruser erscheinen.
Nach einem Beitrag zur aktuellen Lage, diskutieren im Studio zwei Bundestagsabgeordnete über das deutsche Streikrecht, ob man es verschärfen sollte oder nicht.
Wirklich relevant ist das aus meiner Perspektive des Berlin-Einwohners natürlich überhaupt nicht. Da interessiert mich vor allem, ob wenigstens die BVG noch fährt. Oder an welcher Ampelkreuzung meine Überlebenschancen am größten sind, wenn ich von der S-Bahn aufs Fahrrad umsteige. Das Wissen, dass das deutsche Streikrecht ein Richterrecht ist, hilft mir beim apokalyptischen Pendeln nur bedingt.
Auf sie mit Gephrase!
Aber selbst den Staatsbürger in mir lässt das Streitgespräch unerhellt zurück. „Die Ampel könnte doch jederzeit ...!“ – „Aber als Sie damals in der Regierung ...!“ Das phrasische Gerangel fördert keine Erkenntnis zutage. Höchstens die: Politik kann viele Sachen gut. Ein Gefühl vermitteln, dass das alles wieder wird, eher nicht.
Bevor ich den Fernseher eingeschaltet hatte, beunruhigten mich zwei Dinge. Erstens, da gibt es ein Thema, das negative Auswirkungen auf mein Leben hat, aber ich selbst kann zur Lösung nichts beitragen. Zweitens, die, deren Aufgabe es wäre, Bahn und Gewerkschaft, kriegen eine Lösung nicht hin.
Dank „Abendschau“ habe ich jetzt auch noch, drittens, das ungute Gefühl, auf die Politik sollte ich mich in der Sache lieber nicht verlassen.
Ich wollte doch nur wissen, wie ich morgen zur Arbeit komme!
Das sind allesamt nur Bauchgefühle, die ich hier beschreibe. Natürlich passiert im Hintergrund viel. Die Politik hat sich rauszuhalten aus Tarifauseinandersetzung. Aber so viel Rationalität schafft mein Kopf leider nicht, wenn ich dann später beim Zähneputzen in den Spiegel schaue, die Gedanken kreisen und die Laune klumpt.
In letzter Zeit beobachte ich außerdem, wie sich zum Gefühl der Ohnmacht auch noch der Verdacht gesellt, vom Rest der Gesellschaft abgekapselt zu sein. Es mag sonderbar klingen, aber es kommt mir häufiger als früher so vor, als ob niemand sonst die Gedanken denkt, die ich mir mache. Meine Vorstellungen, die oft ein Sowohl-als-auch beinhalten, finden scheinbar nur noch in meinem Kopf statt.
Verstehen Sie mich richtig! Ich bin nicht so arrogant anzunehmen, dass meine Lösungen die Welt ein Stückchen besser machten. Aber es würde sich für mich selbstverständlich besser anfühlen, wenn meine Schlüsse jemand Verantwortliches in Betracht gezogen hätte, um sich dann für etwas Schlaueres zu entscheiden. Bei dem Furor allerorten war dafür vielleicht keine Zeit. Oder ich hab's nur nicht mitbekommen.
Je radikaler der Zeitgeist ausschlägt, umso alleiner fühl ich mich auf meiner inneren Demo gegen Gebrüll und Doofheit. Der Krieg in Gaza leistet für das Gefühl, nicht mehr Teil des Konsens’ zu sein, gerade den stärksten Beitrag. Doch die Sehnsucht nach einer Stimme, die mal sagt, was ist anstatt „was ja wohl nicht sein kann“, zieht sich eigentlich durch alle Themen. Diese Stimme muss irgendwo da draußen sein. Sie kriegt nur zu wenig Sendezeit.
Selbst schuld, Katzenmutti
Politik und Medien pauschal doof zu finden, finde ich doof. Erst wählen wir, dann lesen wir und dann pöbeln wir auch noch im Internet rum als katzenmutti666. Aber schuld sind allein die da oben? In dieser Hinsicht bin ich oberliberal. Erst mal selber besser machen!
Das deutsche Wort Nachrichten ist eigentlich wunderschön. Es deutet die Relevanz an, die einer Neuigkeit innewohnen kann. Eine Nachricht lohnt, sein Handeln danach auszurichten.
Diese wohltuende Orientierung suche ich erst mal wieder woanders. Bücher sind gut. Gedanken aufzuschreiben hilft. Aber wirklich unverwundbar fühle ich mich erst nach einer Physik-Dokumentation. Ich verstehe nur die Hälfte, aber ich ahne voll und ganz, wie pillepalle das Jetzt ist.
Nur gut, dass diese Woche Nachrichtenmann Peter Klöppel in Rente gegangen ist. Und nicht Physikmann Harald Lesch.
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Wenn ich die Gegenwart wieder mal auf Mikrobedeutung schrumpfen will, höre ich Astrophysiker Neil deGrasse Tyson zu. Den gibt’s überall im Internet und in seiner Signature-Doku-Serie „Cosmos: A Spacetime Odyssey“ – entweder per Staffelpass bei Amazon oder als Sicherungskopie im Internet.
Du bist mein Harald Lesch der Herzen!
„Ich ahne voll und ganz, wie pillepalle das Jetzt ist.“ Klingt deep. Und bescheiden. Würde aber auch sagen, dass das Jetzt doch einiges kann. Zumindest für so Menschen.
Die Schlange beim Bäcker ist so lang, dass ich noch weiter down this rabbit 🐇 hole gehen / hier kommentieren könnte. Lieber nicht. Nicht, dass ich gleich am Tresen den 2. Hauptsatz der Thermodynamik bestelle.