Liebe Eskapistinnen, liebe Eskapisten,
diese Woche war ich krank. Nichts schlimmes. Nach ein, zwei Tagen in der ARD-Mediathek war es schon wieder vorbei. Aber nachher war ich um zwei Erkenntnisse reicher. Erstens, “das geht gerade rum”. Und zweitens, es sind sind die kleinen Dinge, Ibuprofen zum Beispiel, die unsere ungeteilte Aufmerksamkeit verdienen. Den kleinen Dingen sei diese Eskapade gewidmet.
Bis nächsten Sonntag!
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#1 – Wohlan denn! Bäcker auf einem Mittelaltermarkt, für mich der Traumberuf schlechthin. Wo sonst könnte man diesen Satz sagen: “Hier für Euch die Streuselschnecke, Ihr hinterlist'ger Scheusalrecke!”?
#2 – Verboten! Hier müssen sie doch sein, denke ich. Irgendwo zwischen Toast und den abgepackten Donuts. Fladenbrot ist da. Pumpernickel ist da. Wo sind bitte die Tortilla-Fladen? Anderthalb Meter neben mir sehe ich den Mann vom Supermarkt. Sein schwarzes Uniform-Polo verrät ihn. Ein Glück!
Als ich mich gerade umdrehe, um zu fragen nach den Tortillas, stocke ich. Ein unerwarteter Geruch mischt sich in den Maschinenbackduft.
Ach so, deshalb. Der Mann Ende zwanzig mit den sehr blonden Haaren behandelt eine Plexiglas-Klappe von der Brötchenselbstbedienungsstation mit etwas Chemischem. Seine Stimmung ist nicht gut, das sieht man. Die Plexiglas-Klappe bekommt einiges ab.
Als ich auf die Klappe vor ihm sehe und dann auf alle Klappen, erahne ich, wo der Blonde heute emotional steht. Fast schon auf jedem Brötchenfach prangen kreisrunde Verbotsaufkleber. Überall stilisierte Hände, die von fetten roten Balken durchgestrichen sind. Fürs große Ganze trete ich einen Schritt zurück. Fest wie eine Klappe steht die Klappen-Wand da und dröhnt: Nicht mit der Hand reinfassen!
All diese Aufkleber, all das Geschrubbe, das Gefiddel und Gefriemel, das muss ein Haufen Arbeit gewesen sein. Aber vor allem muss da eine Menge Wut gewesen sein. Anders steht man so eine stumpfsinnige Fleißarbeit, die Dutzenden eingeklebten Luftbläschen doch nicht durch.
Ich durchdenke meine Optionen. Entweder den explosionsgefährdenden Supermarkt-Mitarbeiter nach Tortillas fragen und anschließend womöglich keinen Appetit mehr haben. Oder zum Abendbrot doch wieder nur Toast mit Emmentaler.
Bevor ich zu einer Entscheidung komme, betritt das Paar die Szene. Beide Anfang sechzig. Sie zielstrebig, geleitet vom inneren Einkaufszettel. Einen Trolley schleift sie mit und einen bärigen Mann. Er ist dabei, aber er war definitiv nicht dafür, einkaufen zu gehen. Als sie stehen bleibt, steht er rum. Sein Blick wandert übers Knäckebrot.
Ich höre nicht, was sie sagt. Aber ich kann sehen, es regt sich was in ihm. Das Schicksal hält ihm einen Strohhalm hin, an dem er sich aus der Nutzlosigkeit ziehen soll. Vielleicht war es: “Such Du Dir doch mal aus, was Du gerne magst.” Und vielleicht hat ihm die plötzliche Selbstwirksamkeit die Sinne vernebelt. Auf jeden Fall wendet er sich zur Brötchenselbstbedienungsstation, und ich ahne, dass die Welt, wie wir sie kennen, schon bald nicht mehr ist.
Seine Linke greift nach dem Plexiglas-Griff von der Plexiglas-Klappe. Die Rechte wandert in die sich auftuende Öffnung, taucht direkt hindurch unterm gerade erst aufgeklebten Verbotskreis mit stilisierter Hand und fettem roten Durchstreichstrich. “Das gibt's doch nicht! Das glaub ich jetzt nicht! Können Sie vielleicht eine Zange benutzen und nicht mit ihren Hände an die Brötchen packen?!” Die Stimme des Blonden wird nur notdürftig vom Dienstleistungsgedanken vorm Überschlagen bewahrt.
Der Ertappte kontert, alles andere als kleinlaut: “Können Sie mich vielleicht nicht so anschreien!” Ein heftiger Schlagabtausch bricht los, und ich wundere mich gar nicht mehr, wie von diesem Land zwei Weltkriege ausgehen konnten.
Bevor ich richtig begreife, was sich die beiden da an die Dickköpfe werfen, ist's auch schon wieder vorbei. Sie zieht den Bärigen am Arm, der Bärige lässt sich ziehen. Der Blonde ruft hinterher: “Ich hoffe, jemand hat ihre beiden Brötchen vorher angeleckt!”
Eigentlich spricht wirklich gar nichts gegen Emmentaler auf Toast.
#3 – Gottlob! Ein Silberstreif.
*Ich werde oft gefragt (= noch nie!), warum die Eskapade jedes Mal ein bisschen anders ist. Während ich mir so meine superprofessionelle Medienmacker-Antwort zurechtlege, fällt mir ein, dass ich selbst keine Ahnung habe und mittendrin bin rauszufinden, wie dieser Newsletter am besten ist. Nicht für mich, sondern für Dich. Jeder Hinweis, Lob und Kritik, was war gut, was kann weg, bedeutet deshalb eine Menge: andreaslaux [ätt] substack [punkt] com. Oder einfach antworten auf diese E-Mail.
Sehr lustig! 😅