Neues aus dem BÜRGERAMT*
Bert Rürup, ein Reisepass und der "scharfe Vogel" – eine Woche geteilt durch acht
Liebe Eskapistinnen, liebe Eskapisten,
der Frühling kündigt sich an. Das alte Dunkel verschwindet, ein neues Hell entsteht. Das macht so manchen nachdenklich. Worauf wird das warme Licht scheinen? Und vor allem: Wann startet noch mal die Ferrero-Sommerpause?
Bis nächsten Sonntag!
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#1 – Wenn der Schrittzähler auf 10.000 springt und deshalb verzückt am Arm vibriert, du aber gerade gar nicht Schritte machst, sondern Paprika würfelst ... Ich bin doch nicht der einzige, der sich dann schuldbewusst nach Zeugen umguckt, oder?
Oder?!
#2 – Bert Rürup war mal sehr berühmt. Weil er eine Rente erfunden hat und die viel besser war als die seines Erzfeindes Walter Riester. Die Geschichte dieser Feindschaft ist sehr tragisch. Denn Walter und Bert kennen sich von Kindesbeinen an, sie waren mal beste Freunde. Walter war außerdem eine Waise und sagte zu Berts Mutter “Mama” und ... Vielleicht bringe ich da was durcheinander. Wie dem auch sei, inzwischen erfindet Bert Rürup vor allem Zitate. Sein neuestes Werk: “Das Rentensystem ist nun einmal keine Kuh, die auf der Erde gemolken, aber im Himmel gefüttert wird.” Klingt für mich, als hätte er die Sache mit Walter längst nicht überwunden.
#3 – Zitate-Großmeister, schwarzer Gürtel, zehnter Dan, ist Konstantin von Notz. Der Grünen-Sicherheitsexperte sagte jüngst im ehrwürdigen Deutschlandfunk zu den vermeintlichen Moskau-Verbindungen von Wirecard-Bro Jan Marsalek: “Da fällt Ihnen der Kitt aus der Brille!” Einfach so.
#4 – Hier liest doch irgendwer aus der Senatsverwaltung mit! Anders kann ich mir nicht erklären, dass mir das Meckern über Berlin neuerdings im Halse stecken bleibt. Nicht genug, dass ich an einem Samstag ins Krankenhaus und dafür kaum Wartezeit mitbringen musste, die Ärztinnen sowas von bei der Sache waren und auch sonst alles dufte geriet. Ich musste auch zum Bürgeramt, einen Reisepass verlängern, und schon wieder: höchstens zwei Minuten Wartezimmer-TV (jetzt werde ich nie erfahren, welcher der größte Planet in unserem Sonnensystem ist!) und dazu eine ausgesucht freundliche Bürgeramt-Frau, die mich mit ihrem “Brauchen Sie sonst noch irgendwas?” kalt erwischte. Der Onkelspruch erster Güte beim Darreichen des EC-Kartenlesers machte mich sie schließlich heiraten wollen: “Ich will doch nur Ihr Bestes ... Ihr Geld!” Wie soll aus so viel Einwandfreiheit ein launiger Text entstehen? Danke für nichts, Berlin!
#5 – Dienstag. Fitti gewesen. Umkleide gegangen. Ausgezogen. Sporthose vergessen. Angezogen. Wieder gegangen. Wie sehr kann man sich selbst hassen?
#6 – Ich bin so alt, ich hab noch ein Zeitungsabo. Nur ein Wochend-Abo, aber immerhin. Jetzt werden die Samstags- und die Sonntagsausgabe meines Tagesspiegels zusammengelegt. Damit die letzten Aufrichtigen nicht auch noch von der Fahne gehen, gibt's zur Wiedergutmachung den Tagesspiegel am Freitag und praktisch alles aus dem Verlagssortiment für lau in elektronischer Form. Früher in der Journalistenschule sagten die Altredakteure diesen schlachtrossigen Spruch: “Mit der Zeitung von gestern kann man höchstens noch Fisch einwickeln!” Ich hab das mulmige Gefühl, das “von gestern” können wir bald weglassen.
#7 – Ich hab das an der ein oder anderen Stelle schon mal fallen lassen: Ich liebe Onkelsprüche. Am liebsten sind mir die, die nicht nur Kalauer sind, sondern auch ein Stück Weisheit in sich tragen. Der Mann, den ich im Internet zum Schleifen meiner Küchenmesser ausgemacht hatte, heißt Vogel und nennt sich – Moment, Moment – der scharfe Vogel. Ich hatte also berechtigte Hoffnungen auf ein Onkelsprech-Erlebnis der besonderen Art, als ich meine Messer zur Überholung ablieferte. Ich sollte nicht enttäuscht werden. Als ich gerade die Dienstleistung umschrieb, die ich gedachte, in Auftrag zu geben, unterbrach mich der scharfe Vogel: “Was ist eine Edelsalami?” – “Ehm, wie, bitte?” – “Was macht eine Edelsalami edel, sagen Sie mir das!” – “Ich, ehm ... was??” – “Sehnse, das gleiche mit dem Edelstahl. Alles nur Marketing!” Und in Solingen standen für eine Sekunde alle Uhren still.
#8 – In jedem Volkshochschulkurs zum Newsletterschreiben lernt man gleich in der ersten Stunde, dass die Leserin und der Leser das Wichtigste sind und du nich so. Das ist in meinem Fall nicht nur richtig, sondern offensichtlich.
Ich wünschte, mein Steuerberater sähe das auch so.
Das klingt schon viel mehr nach ihm.
70 Menschen haben inzwischen Die Eskapade abonniert. Da lachen Insta-Millionäre drüber. Für mich bedeutet das aber eine Menge. 70 Menschen schenken mir jede Woche fünf Minuten ihrer Zeit und denken mit mir meine Gedanken. Das ist noch mehr Ansporn. Danke!
... oder meine Mutter hat sich 69 Fake-E-Mail-Adressen zugelegt. Aber selbst dann: Stabile Leistung, Mama!
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*Ich werde oft gefragt (= noch nie!), ob die vollgepinkelte Matratze auf Berliner Bürgersteigen nicht ein ziemlich ausgelutschtes Stereotyp sei, das vor zehn, fünfzehn Jahren vielleicht mal witzig, weil eben in Teilen von der Realität gedeckt war, aber inzwischen mit dieser Realität so gar nichts mehr zu tun habe und deswegen auf den Müllhaufen der ausgelutschten Stereotype und mithin von mir nicht mehr genutzt gehöre. Darauf antworte ich dann meistens: “Da hast Du natürlich einen sehr wichtigen Punkt angesprochen. Vielen Dank, dass Du Dein Unbehagen so offen mit mir teilst.”
Konstantin von Notz ist mir sprachlich auch schon äußerst positiv aufgefallen. Mit Blick auf die gestrige RAF-Solidarisierungsdemo in Kreuzberg hat er gesagt: "Man muss schon extrem fertig sein, (...), wenn man so eine Kundgebung veranstaltet. Dazu fällt mir wirklich nichts mehr ein."