Die Hände bleiben über der BETTDECKE
Berlin hat kein süßes Geheimnis mehr: Kai Wegner und Katharina Günther-Wünsch sind offiziell ein Paar. Die Posse mag damit vorbei sein. Was bleibt, ist die Provinz
Berlin hatte vergangene Woche ein Schmusethema, das viele andere Themen kurzzeitig überstrahlte. Unsere Bildungssenatorin Katharina Günther-Wünsch und unser Regierender Bürgermeister Kai Wegner lieben sich. Glückwunsch! In jedem anderen Zusammenhang wäre diese Nachricht kaum eine Nachricht wert. Aber, und da muss man die geifernde Medienmeute auch mal in Schutz nehmen, aus genau dieser Beziehung ergeben sich Folgefragen.
Wenn streikende Lehrerinnen und Lehrer der Senatorin am Morgen eine Forderungsliste übergeben, lässt dann der Kai den Heizungsableser rein? Wenn der Bürgermeister vergessen hat, eine Reiserücktrittsversicherung für den Urlaub auf Koh Samui abzuschließen, aber Katharina hat den Termin falsch in den Kalender eingetragen und jetzt hat sie eben schon beim Philologen-Sommerfest zugesagt, wer muss dann zur Strafe in den nächsten sechs Monaten alle Spatenstiche absolvieren? Und das sind nur die offensichtlichen Fragen.
“Schatz, heute fährt Dein Fahrer!”
Ein bisschen gewundert habe ich mich schon, über den unforced error der beiden. Denn irgendwie hatte Kai Wegner in den acht Monaten seit Amtsantritt auf mich den Eindruck gemacht, den Laden im Griff zu haben. Was ihm auch leicht fiel, denn im Wahlkampf hatte ihn der politische Mitbewerber wahlweise als Rechtsganzaußen oder als tumben Nixblicker vom Land (= Spandau) versucht darzustellen. Unter diesen Vorzeichen fällt schon positiv auf, wenn man eine Regierung überhaupt hinkriegt.
Dieser Kai Wegner also ließ sich über Wochen immer tiefer reinmanövrieren vom regieren Können ins reagieren Müssen. Am Ende musste sogar Paparazzi-Beißer Christian Schertz ran. Das ist in etwa dasselbe Aggro-Level, als wenn dir Joe Biden einen Flugzeugträger in den Vorgarten stellt. Aber wer wollte es "Kaitharina" verdenken. Die Bild-Zeitung schnappatmete schon eine ganze Weile ("Tattoo auf dem Dekolleté"). Schluss mit lustig war spätestens, als die Angelegenheit parlamentarisch wurde. Die Hinterbank im Abgeordnetenhaus kritzelte an pennälergeilen Fragenkatalogen: "Schließt der Regierende aus, mit einem anderen Mitglied des Senats eine sexuelle Beziehung zu haben?" Uff.
Das schwül-schmierige Drumherum steht so herrlich krass im Kontrast zum Weltmetropole-Image, das Berlin seit drei Jahrzehnten versucht, um sich aufzubauen. Man hätte so gerne Investoren, Hochkultur und Stars. Stattdessen bekommt Brandenburg Elon Musk, man selbst die zweite Nachwahl innerhalb von nicht einmal zwei Jahren und einen Senat, dem jetzt Compliance-Regeln auferlegt werden sollen. Was ja auch nichts anderes heißt als: Die Hände bleiben über der Bettdecke!
Laut Schertz laut dpa haben "beide im Herbst 2023 [entschieden], eine Beziehung einzugehen". Juristendeutsch mit Rosenduft! Als ich den Satz von der verstandesmäßigen Entscheidung zum ersten Mal las, stellte ich mir eine Szene vor wie aus der Lokalzeitung. Statt "Sparkassen-Direktorin ehrt Gewinner des Schüler-Börsenspiels" lautet die Bildunterschrift: "Es ist amtlich! Bildungs-Käthe liebt Regierenden-Kai (v.l.n.r.)". Statt überdimensioniertem Scheck (für die Klassenkasse) überreicht Wegner auf der Schwelle zu seiner Junggesellenbude einen XXL-Schlüssel (zu seinem Herzen!).
Die jungen Leiden der neuen “Kaitharina”
Mir leuchtet ein, dass weder die eine noch der andere jetzt einfach von seinem Amt lassen will. Wo sind wir denn hier?! Seit Werther sollten wir doch dazugelernt haben. Es wird sich nicht mehr einfach selbst abgeknallt, sobald es mal hakt mit der Liebe. Es wird sich gefälligst ans Amt geklebt. So geht zeitgemäße Romantik.
Wirklich hoffnungsfroh stimmt, dass die beiden tatsächlich annehmen, ihr Abhängigkeitsverhältnis könnte ihnen in den kommenden Monaten nicht um die Ohren fliegen. Diese Naivität eines Hundewelpen, der auf den Pitbull von nebenan zutapst! In einer ansonsten durchorchestrierten Welt, in der jeder seine eigene makellose Marke zu sein hat, da muss man auch mal Sachen machen, die definitiv in die Hose gehen!
Ich habe mit genau diesem Satz im Kopf als Student mal ein vermeintlich letztes Bier angeguckt. Am nächsten Morgen bin ich in einem Regionalexpress irgendwo im Ruhrgebiet aufgewacht. Und nein, ich habe nicht im Ruhrgebiet studiert.
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Das pompöse Berlin, das in einem Atemzug genannt werden soll mit Tokio, Paris und New York, ist natürlich nur eine Erfindung von Klaus Wowereit und Désirée Nick. Dass Berlin in Wirklichkeit ein – zugegeben: bevölkerungsreiches – Provinzdorf ist, dröselt die Doku Capital B – Wem gehört Berlin? formvollendet auf. Konnte mich nicht sattsehen.